Freitag, 5. April 2013

LiteraPUR die 1.: Judenflucht, Arbeitslose und Philosophen-Pop

Am späten Nachmittag bezwangen wir die Rauriser Berge und machten uns mit der Gondel auf den Weg zur Heimalm. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft in Rauris hatten wir das Gefühl, einmal recht früh dran zu sein, wurden jedoch schnell eines Besseren belehrt, da wir in der Almhütte bereits von einer Masse  literaturinteressierter und gut frisierter Menschen erwartet wurden. Ähnlich wie Ölsardinen quetschten wir uns zwischen die Bänke und Rotwein drängte sich uns als der einzig plausible Stimmungsheber auf.

Ganz untypisch die akademische Viertelstunde ignorierend, startete Dr. Manfred Mittermayer mit dem Programm.
Als ersten Programmpunkt betrat Christoph W. Bauer die Bühne.
Nach einführenden Worten und der Vorstellung des Wahlinnsbruckers startete dieser mit der Lesung aus seinem neuen Roman „Die zweit Fremde“. Ganz im Zeichen der Lebenswege erzählt Bauer über sein Projekt mit anderen Künstlern. Zusammen haben sie diverse Interviews mit Juden geführt, die 1938 von Innsbruck nach England flohen. Dabei, so verweist Bauer, handle es sich nicht um eine Reise in die Vergangenheit, sondern vielmehr in die Gegenwart. Tirol war für diese Personen die zweite Fremde geworden. Es stellt sich die Frage was Heimat wirklich bedeutet. Ist sie ein Geruch, ein Punkt auf der Landkarte oder das, was wir nur erkennen, wenn wir es bereits verloren haben?

Zur Überbrückung der Pause wurde uns eine recht individuelle Musikinterpretation dargeboten. Diese erinnerte an eine australisch-orientalisch postmoderne Volksjodlerei und wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen.
„Wos hot denn dea eigworfn?“ wurde mir ins Ohr getuschelt und ich konnte ein schelmisches Grinsen in mein Weinglas hinein nicht unterdrücken. Doch vielleicht war diese Darbietung einfach zu avantgardistisch für uns.
Freudig wurde jedoch die Jause und das Gläschen Rotwein aufgenommen, dass den Literaturliebhabern, vom Almwirt spendiert wurde.

Als nächster Punkt stand Anna Weidenholzer am Programm.
Die ambitionierte, 29-Jahre junge Autorin las aus ihren Roman „Der Winter tut den Fischen gut“.
Im Text schildert sie das Leben von Maria Beerenberger, einer Langzeitarbeitslosen und wie diese immer mehr in der Isolation versinkt und keinen Anschluss an die Gesellschaft mehr findet.
Die Innovation des Buches liegt darin, dass Weidenholzer mit dem 54. Kapitel, sprich mit der bereits seit 2 Jahren arbeitslosen und völlig frustrierten Protagonistin beginnt. Man liest den Roman von hinten nach vorne, sprich das letzte Kapitel ist gleichzeitig das erste, welches Maria noch als fröhliche und integrierte Frau zeigt.
Die Autorin beweist sprachliches und psychologisches Feingefühl und weiß mit Worten  umzugehen. Ihre Sätze sind einfühlsam und lebensnah, wirken federleicht und in der Tiefe ihrer Bedeutung doch ganz schwer.
Die Lektüre dieses Buches kann man nur weiterempfehlen. Weidenholzer zeigt sich als ganz große Artistin der stillen, empathischen Töne.

Nach erneuter musikalischer Beglückung kam man zum letzten Programmpunkt dieser Powerlesung.

Jürg Amann konnte aus gesundheitlichen Gründen leider an dieser Lesung nicht teilnehmen, dennoch ermöglichten Ines Schütz und Günther Stocker (Leiter der Arbeitsgruppe Uni Wien)einen Einblick in dessen Roman „Wohin denn wir“.
Jürg Amann vereint in seinem Werk auf überaus künstlerische und durchdachte Weise Lebenswege, die sich durch zwei Epochen trennen. Er beschreibt das Leben Hölderlins, Schellings und Hegels als Studenten und das dreier junger Studenten, die 1969 aus der Provinz nach Berlin ziehen.
Realität und Fiktion die aufeinander treffen und Idealismus der alles eint.
Persönlich war dieser Text eine literarische Offenbarung und auch, wenn die Konzentration der Meisten bereits unter den tropischen Temperaturen im Raum litt, so gilt es dennoch Amann als großen Literaten zu würdigen und seine Texte weiter zu empfehlen.

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