Sonntag, 7. April 2013

Rauris meets Justin Bieber

Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm (die second mouse sei hier einmal außer Acht gelassen). In Rauris schaut allerdings selbst der verfrühte Vogel ganz schön dumm aus der Wäsche, wenn es darum geht, sich ein Nest zu suchen.
Es ist Freitag, die Zeiger zeigen 16.55 Uhr an. Noch zwanzig Minuten, bevor der Gasthof Grimming seine Pforten öffnet. Noch zwei Stunden und fünf Minuten, bis die Lesungen beginnen. Wer so früh dran ist wie wir, wird bestimmt einen guten Platz im Gasthof ergattern.
Oder?
Während es bei der Eröffnungsfeier zwar etwas eng herging, aber zumindest eine gewisse Ellenbogen- und Atemfreiheit herrschte, fühlt man sich heute weniger an die Rauriser Literaturtage, sondern mehr an ein Justin-Bieber-Konzert erinnert. Statt hyperventilierender Teenies, blockieren die älteren Literaturfans sämtliche Eingänge, Ausgänge und Fluchtwege. Sogar auf der Straße stehen sie so dicht gedrängt, dass alle Autofahrer, die vorbei wollen, im Schritttempo fahren und warten müssen, bis ihnen ein Platz freigemacht wird. Wir werden etwas nervös. Aber wir sind gut positioniert, zwei Studenten an diesem Eingang, zwei am anderen. Wir werden einen guten Platz im Gasthof ergattern.

Doch beim Öffnen der Türen zeigt sich, wie fit die Rentner im rustikalen Rauris tatsächlich noch sind. Vergessen sind Kurzatmigkeit, Bandscheibenvorfälle und andere Wehwehchen. Die Kreativität, die an den Tag gelegt wird, um doch noch an einen Sessel zu gelangen, kennt keine Grenzen. Ellenbogen werden zu Waffen, und man trifft den einen oder anderen Gollum, der seinen Schatz verteidigt. Wer hat eigentlich je behauptet, nach der Pensionierung habe man (genug) Zeit? Aber da, da vorne, da ist noch etwas frei! Diese Plätze holen wir uns.

Doch die Hoffnung ist vergebens. Was da wie eine Oase in der Wüste wirkt, die man nach einem irrwitzigen Lauf über den Treibsand erreicht, erweist sich doch als Fata Morgana. Wie Badetücher auf Strandliegen zerstören weiße Zettel mit der Aufschrift Reserviert jegliche Hoffnung. Da bleiben einem zunächst nur der Rückzug zur Leinwand im Platzwirt und der Griff zur Speisekarte. Und als letzte Möglichkeit bietet es sich noch immer an, die deutsche Literatur gegen die englische einzutauschen – ab ins Shakesbeer.

-

Nicole Perner

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen