Montag, 8. April 2013

LiteraturPur die 3.: Der Biss in die Petite Madelaine, von schwarzen und weißen Schafen

Mit einem ganz besonders spannenden Programm überzeugt der dritte und letzte Literaturabend der diesjährigen Rauriser Literaturtage.

Selbstbewussten Schrittes betritt Peter Kurzeck als erster der drei vorgesehenen Autoren die Bühne, um aus seinem autobiographischem Großepos „Das alte Jahrhundert“, an welchem er seit den 90er Jahren arbeitet, zu lesen. Mittlerweile Band 6 mit dem Titel „Bis er kommt“ erschienen, formt seine angenehme Stimme poetische Worte, die nicht nur das Publikum im Grimming, sondern auch - mit Hilfe der Videoübertragung - im Platzwirt, in tiefe Erinnerungen proust´schen Ausmaßes schwelgen lassen. Wie erinnern wir uns, was sind Erinnerungen tatsächlich und warum glaubt ein Kind das Lachen der Tiere zu hören? Streifen wir durch die Wälder und blicken den Zügen am Bahnhof nach, so lange, bis sie endgültig mit dem Horizont verschmelzen, doch hüten wir uns davor, ihn zu verpassen, sollten wir die Ferne der Welt bereisen wollen, denn dieser Zeit, sollten es auch nur kurze Minuten sein, werden wir unser Leben lang hinterher hinken.

Den zweiten, auflockernden Teil bestreitet die deutsche Radiojournalistin Marion Brasch, die aus ihrem Familienroman „Ab jetzt ist Ruhe“ liest. Im witzigen, ironischen Ton passt sich ihre Stimme den Figuren an und lässt den eigenwilligen Geist der DDR im österreichischen Bergort aufleben.
Eine Familiensippe, von Beginn an dem Untergang geweiht, Dramatik, Alkohol, Exzesse- die Manns der DDR.
Von Söhnen, die gegen den dominanten Vater rebellieren, der eines nicht verlieren will: das Land, welches er mit aufgebaut hat; die sich in der Bohéme und dem Intellekt der Jugend verstricken und die sterbenden Eltern schon lange verlassen haben.
Von einer kleinen Schwester, die noch versucht das zu retten, was bereits vor ihrer Zeit zerstört wurde. Und vom Rat, dann abzuschließen, wenn endgültig Ruhe einkehren sollte.

„Die wahren Helden sind Sie“, so Michael Köhlmeier beim Betreten der Bühne an das Publikum, „wenn man die Uhrzeit beachtet!“
In seinem Roman „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ begleitet Köhlmeier die Figur eines modernen Simplicissimus der ungarischen Nachkriegszeit, ohne Gefühl für Recht und Unrecht, dem gerade dadurch vergeben wird, weil er nicht um Verzeihung bittet. Mit seiner einzigartigen Wortgewandtheit lässt er seinen Figuren den Raum, selbst zu sprechen und zu handeln, sich frei zu entwickeln und ganz nach eigenem Ermessen die Zuckerdose auszulöffeln. Begleiten wir Joel Spazierer durch die Odyssee seines lügenhaften, mörderischen Lebens, empfinden wir Mitleid mit einem Schelm, der keiner sein will, und begeben wir uns auf die Spuren barocker und zeitgenössischer Literatur, die köhlmeieresk eine Brücke dazwischen findet.

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